Was ist automatisierte Gesichtserkennung?
Automatisierte Gesichtserkennung ist eine Technik, mit der man Menschen, von denen man weiß wie sie aussehen, in der Öffentlichkeit finden kann. Dafür braucht man ein Foto von der Person die man finden möchte, z. B. ein Passfoto vom Personalausweis. Auf dieses haben mittlerweile viele staatliche Stellen Zugriff.
Für dieses Foto berechnet ein Algorithmus dann einen biometrischen Fingerabdruck. Der Einfachheit halber hier “Gesichtszahl” genannt. Diese Gesichtszahl ist für jedes Gesicht anders. Der Algorithmus überträgt individuelle Merkmale des Gesichts, wie den Abstand zwischen deinen Augen in eine Nummer. Die daraus resultierende Gesichtszahl kann für jede in einer Datenbank vorkommenden Person errechnet und gespeichert werden.
Im zweiten Schritt hängt man jetzt Kameras in der Öffentlichkeit auf, zum Beispiel an Bahnhöfen, Flughäfen oder Einkaufsstraßen. Das Video, das aus diesen Kameras kommt, wird wieder von dem Algorithmus analysiert und es wird wieder für jedes Gesicht, das auf dem Video auftaucht, die Gesichtszahl errechnet. Für jede von diesen Gesichtszahlen aus der Einkaufsstraße wird in der Datenbank nachgesehen, ob es dort eine entsprechende Zahl gibt. Gibt es eine Übereinstimmung bedeutet dies, dass eine Person im öffentlichen Raum identifiziert werden kann. Es kann demnach ausgemacht werden, wer genau sich gerade dort in der Einkaufsstraße aufhält.
Aktuell wird diese Technik zu dem Zweck eingesetzt, dass polizeilich gesuchte Personen gefunden werden können. Das bedeutet, alle Gesichter im öffentlichen Raum werden gescannt, um die eine gesuchte Person zu ermitteln und orten zu können. Gibt es einen Treffer, kann ein Eintrag irgendwo verzeichnet werden (“Person X hält sich da und da auf”) oder eine Polizeistreife zu dem Ort losgeschickt.
Geschichte
Die Ursprünge hat Gesichtserkennungtechnik in den USA. Während es in den 60ern schon erste Erfolge in puncto automatisierter Gesichterkennung hab, fand diese Technik erst mit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 immer mehr Anwendung – auch über die USA hinausgehend.
In Deutschland wurde Gesichtserkennung erst mit den G20 Protesten in Hamburg in der breiten Öffentlichkeit zum Thema. Dort kam es zu Ausschreitungen, in dessen Folge Personen gesucht wurden, die mutmaßlich Straftaten begangen haben. Dazu wurden die Aufzeichnungen der Videokameras im öffentlichen Raum mit Gesichtserkennungssoftware ausgewertet, um diese Personen ausfindig zu machen. In den folgenden Wochen ist es dann zu heftigen Diskussionen gekommen, ob Menschen bei Demos gefilmt werden sollten.
Dass Gesichtserkennung von der Polizei in Deutschland eingesetzt wird, lässt sich auf den Terroranschlag am Breitscheidplatz 2016 zurückführen. Ähnlich wie bei 9/11 musste die Politik hier was tun, um den Bürger*innen wieder mehr ein Gefühl von Sicherheit geben zu können. Dazu kam, dass Politik und Polizei ziemlich unter Druck geraten sind, weil der Terrorist Anis Amri sich zwei Stunden lang frei durch Berlin bewegen konnte, bis er von der Landespolizei gefasst wurde.
2017 hat das Innenministerium einen Testlauf am Berliner Südkreuz gestartet, mit drei Phasen:
- Wie gut funktionieren die Systeme mit Fotos guter Qualität?
- Wie gut funktionieren die Systeme mit Fotos mittlerer Qualität?
- Wie gut erkennen die Systeme verdächtiges/gefährliches Verhalten?
Die letzte Phase bezieht sich auf Verhaltenserkennungstests. Diese haben nichts mit Gesichtserkennung oder auch biometrischer Identifizierung zu tun, Stand 2020 gibt es noch keinen Abschlussbericht dieser Testphase.
Nach den ersten beiden Testphasen wurde ein Bericht von der Bundespolizei und dem Innenministerium vorgelegt, der Gesichtserkennung sehr positiv bewertete. Der Chaos Computer Club hat diesen Bericht analysiert und weist auf viel zu optimistische Messungen und beschönigte Fehlerquoten hin.
Im Januar 2020 hat das Innenministerium bekannt gegeben, im Rahmen eines neuen Polizeigesetzes Gesichtserkennungssysteme an 129 Bahnhöfen und 14 Flughäfen in Deutschland installieren zu wollen. Als Reaktion gab es eine gesellschaftliche und mediale Debatte, wir als Digitale Freiheit haben das Bündnis gesichtserkennung-stoppen.de initiiert. Gleichzeitig wurde bekannt dass die EU über ein Verbot von Gesichtserkennungstechnik nachdachte und dass das US-Unternehmen Clear-View eine Webseite gebaut hatte, mit der man Millionen von Personen per Foto identifizieren konnte. Durch alles zusammen kippte die Debatte, in den Medien wurde fast nur noch kritisch über Gesichtserkennung berichtet und schließlich gab Horst Seehofer bekannt, das Vorhaben vorerst sein zu lassen. Ob in Zukunft eine neue Gesetzesinitiative kommt, ist weiterhin offen und sehr davon abhängig, was auf EU-Ebene passiert.
Warum setzen wir uns gegen automatisierte Gesichtserkennung ein?
Oft werden die Qualität und die Fehlerquoten kritisiert, das greift aber zu kurz: Zwar sind diese noch nicht perfekt, technische Verbesserungen werden diese wohl aber in Zukunft noch verbessern
Einfache Umgehung
Dreht eine gesuchte Person ihr Gesicht nur um 15 Grad von den Kameras weg, wird sie von den Systemen nicht mehr erkannt. Wer eine Straftat plant, kann sich einfach vor Erkennung schützen.
Diskriminierung
Gesichtserkennung diskriminiert Frauen, Kinder und People of Colour. Bei diesen Gruppen liegen die Falscherkennungsraten signifikant höher als bei weißen Männern. Die negativen Folgen treffen also besonders Gruppen, die ohnehin schon Benachteiligungen ausgesetzt sind.
Gefahr für die Demokratie
Selbst wenn Gesichtserkennung perfekt funktionieren würde: Sie wäre dann in der Lage, ganze Stadtgebiete zu überwachen und die Identität von Zehn- oder Hunderttausenden von Menschen gleichzeitig zu erfassen. Durch das ständige Gefühl, überwacht zu werden, leiden Freiheitsrechte, individuelle Entfaltung und politische Teilhabe.
Missbrauchspotential
Gesichtserkennung birgt enormes Missbrauchspotential für Unbefugte und etwaige zukünftige autoritäre Regierungen. Zivilgesellschaftliches Engagement gegen eine Regierung, die exakt weiß, wer wann wo ist, ist nur schwer denkbar.
Tendenziell verfassungswiedrig
Ob die Technik mit der Verfassung vereinbar ist, ist unklar. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil entschieden, dass das massenhafte Scannen von Nummernschildern zu start in die Privatsphäre eingreift. Es wäre also durchaus denkbar, dass das massenhafte Abscannen von Gesichtern ebenfalls Verfassungswidrig ist.